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interview mit aktivist shadow

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Komisch, heute habe ich irgendwie ein Problem mit meinen Emotionen, die in einer Form so zu beherrschen, dass sie mich nicht überfallen.

Ich bin 54 Jahre alt und gelernter Tischler. Eine Zeit lang habe ich in diesem Beruf gearbeitet und war fast 10 Jahre selbstständig als Handwerker. Dann habe ich einen schweren Motorradunfall gehabt, Halswirbel-bruch. Habe dann eine Umschulung zum Mechatroniker für Industriesteuer-ung bekommen, weil ich nicht mehr weiter als Tischler arbeiten konnte. In dem Beruf habe ich nie gearbeitet aber dann als Quereinsteiger im Heizungs-bau. 
Durch eine ziemlich blöde Geschichte, eine Kampfhundattacke auf meinen Hund und eine anschließende Über-reaktion von mir, habe ich alles verloren. Ich wurde obdachlos und bin es jetzt noch immer. In Göttingen habe ich lange auf der Straße ge-lebt. Irgendwann habe ich gedacht du bringst dich jetzt um oder findest noch mal einen Sinn in deinem Leben.
Dann habe ich mir überlegt, hier runter zu fahren und mir das alles mal anzugucken [lacht] - naiv wie ich war. Ich war uninformiert und bin erstmal nach Hambach gefahren [lacht], das liegt auf der anderen Seite von der Grube.

Shadow, Mahnwache | Foto: Leslie Barabasch 

Zum Hambacher Forst war es ganz schön weit. Ich habe irgendwo geklingelt, habe für zwanzig Euro ein Fahrrad bei einem Landwirt gekauft, bin hier her geradelt und hab’ mir das angeguckt. Das war im August 2018. Zur gleichen Zeit war ein Klima Camp beim Tagebau Garzweiler. Das war wohl die beste Form, sich zu informieren und die Menschen oder Aktivisten zu treffen. Dort habe ich dann das erste Mal die vegane Lebensform erlebt, es war lecker, was das Kochteam dort zubereitet hat. Mit den Workshops dort kam ich nicht so gut klar, ich hab’ die immer irgendwie verpasst. Im Camp wurden kleine Arbeitsgruppen gebildet, ich hab’ mich dann für einen Job in der Shit-Brigade gemeldet [lacht]. Dadurch, dass wir den Scheiß-Job gemacht haben, hatten wir auch Privilegien [lacht]. Wir durften als erste essen, wir haben das leckerste Essen gekriegt, durften uns am meisten aussuchen, aber durften nicht ab-waschen, hygienetechnisch.

Wie kam es, dass du dich ent-schieden hast, endgültig hier zu bleiben?

Als Handwerker bin ich hier bestimmt gefragt, habe ich mir gedacht. Das einzige, was mir von meiner Selbst-ständigkeit geblieben war, ist ein professioneller Akkuschrauber. Am zwölften September bin ich dann endgültig hier her gereist. Hinten, bei der Baumallee, standen Polizisten, die mich direkt in Empfang genommen haben.  Die erste Kontrolle war gleich ein ID-Check und ich wurde komplett durchsucht, dabei kam mein Akku-schrauber zum Vorschein.

Ich habe denen meine Lebensge-schichte ein bisschen geschildert, zwei von denen waren anschließend den Tränen nah. Ich habe ihnen gesagt, dass es mein letztes Hab und Gut ist, was ich dabei habe.
Oh, da haben sie geschluckt, waren jung und am schlucken und ließen mich mit dem Akkuschrauber durch [lacht]. Da hatte ich einen Akku-schrauber reingeschmuggelt, ein Profi-gerät, mit allem drum und dran.

Andere Sachen haben sie gar nicht gefunden [lacht] - war cool. Sägen, Handsägen ohne Ende, kleine Baum-sägen, alles, was in meinen Trolli gepasst hat [lacht]. Ich kam nämlich wie am Flughafen mit dem Trolli an [lacht]! Ich bin dann in den Wald gegangen, habe mich ein bisschen umgeschaut und nach einem guten Platz für mein Zelt gesucht.  Mein klei-nes Dreieckszelt habe ich dann in der Nähe von den Wiesen aufge-schlagen. Dort gefiel es mir nicht so gut, aber ich hatte meine Ruhe und ich hatte einen super Überblick. Ich bin dann irgendwann losgezogen, um die Umgebung zu erkunden, ein Hand-werker erkundet als aller erstes seine Baustelle, um zu wissen, wo Probleme auftreten könnten. Ich bin auch an die Abbruchkante gegangen, so weit, wie ich mich getraut habe. Dort konnte ich zum ersten mal die ganze Grube sehen und die Zone, wo die alten Baum-leichen mit ihren riesigen, 300 Jahre alten Stümpfen liegen. Das war schon heftig und ist es jetzt immer noch. Leider gewöhnt man sich auch an solche erschreckenden Anblicke. 

Am 13./14. September ging es mit den ersten Räumungen des Waldes los.

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Innenansicht, Mahnwache | Foto: Lucas Ulmer

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Mahnwache mit Blick auf den Tagebau Hambach | Foto: Marie Schneider

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Die erste Räumung habe ich mir an-geguckt. Ich stand neben einer Frau, die ein riesiges Plakat hatte. Habe ihr geholfen es zu entrollen und zu halten, wodurch ich hinter das erste Absperr-band kam. Insgesamt lief die Räumung der Baumhäuser relativ gewaltfrei ab.
Leute schreien von oben, man versteht nicht was sie schreien - die Einsatz-kräfte kommen mit ihrem Kran. Ich hab’ nur gesehen, dass die ganze Straße komplett voll war mit diesen großen Transportern und es waren Spezialfahr-zeuge da, Barrikadenräumer, Panzer, riesige Radlader, Wasserwerfer, Hub-schrauber flogen, Rettungswagen, drei-einhalb Tausend Einsatzkräfte waren hier. So einen Aufmarsch hab’ ich noch nicht gesehen.

In den Baumhäusern waren glaub ich 15-20 Leute, die relativ gewaltlos run-tergeholt wurden. Am nächsten Tag war auch schon der nächste Einsatz in einem anderem Teil des Waldes. Da hab ich mich mit einem Reporter reinge-schmuggelt und stand in der ersten Reihe. Auf einmal hieß es, wir müssen zurück, die Maschinen brauchen mehr Platz und die abgesperrte Zone wurde erweitert. Mit einem Fahrradschloss habe ich mich an einen Baum gekettet - zack [lacht]. Ein jüngerer Cop forderte mich auf, endlich hinter das Absperr-band zu gehen. 

Als das nicht ging kamen sie zu mir, haben mich umzingelt und sagten, dass es ja schade um das Fahrradschloss wäre und ob ich das nicht aufmachen möchte, sie würden mir ja nichts tun, nur einen ID-Check etc.Es waren viele Reporter in der Nähe und es war dann mein erstes Statement. Dann hab’ ich mich frei gemacht, bin dann rausbegleitet worden zu diesen tausend Einsatzkräften und hab meinen ersten Platzverweis bekom-men, was bedeutet, 24 Stunden diesen Gefahrenbereich nicht mehr betreten zu dürfen. Ich soll mich da irgendwo an irgend einem Ende melden, quasi abmelden. Von dort aus sollten die Leute zum Bahnhof gefahren werden, um sicher zu stellen, dass man auch wirklich wegfährt. Ich bin dann irgendwo ein bisschen entlang gelaufen und wieder zurück in den Wald gegangen.

Ich dachte mir, das ist ja ein interessantes Spiel, ich darf mich halt nicht erwischen lassen in diesen 24 Stunden, ansonsten geht man halt ins Gefängnis. 

Was war deine Motivation, hier hin zu kommen und dir das hier aktiv anzuschauen?

Ich glaube ich hatte im Spiegel gelesen und im Radio gehört, was hier los ist und hab’ gedacht, dass hier irgendwelche Individualisten, irgendwelche Menschen, die für irgendwas kämpfen, sind. 

Es hat mich interessiert und ich dachte mir, man könnte sich das ja mal angu-cken.

Ich habe damals gedacht, dass wir eh keine Chance haben und dass es hier irgendwie ein verrückter Haufen ist und es wahrscheinlich Leute sind, die mit ihrem Leben eh, so wie ich, ein bisschen abgeschlossen haben. Mir ist aber klar geworden, dass hier viele junge Menschen sind und ich eigentlich mit der Älteste bin. Mit der Zeit steigerte sich die Gewalt bei den Polizeieinsätzen und hab’ dann auch immer mehr Gewalt gegen mich erlebt, weshalb ich dann auch meine Aktionen mit dem „locken“ [anschließen] gesteigert habe. Bei der nächsten Gelegenheit habe ich mich dann in einem Baum, in sechs Metern Höhe am Hals „gelocket.“ Es passierte nichts und ich bin dann wieder runter. Die Leute in dem Baumhaus nebenan fanden das voll lustig, oder interessant, oder toll. Einmal habe ich versucht einen Baum zu retten, indem ich völlig unvorbereitet an den Baum ran gerannt bin, versucht habe, wie ein Äffchen an ihm hoch zu klettern, weil er keine Äste hatte. Ich wollte eine Schneise verhindern. Zuerst wurden immer erst Schneisen in den Wald geschnitten, mit Kies und Schotter verdichtet und dann kam der Kran, das war so das Prozedere. Naja, ich hab’ auf jeden Fall versucht, an dem kleinen Baum hoch zu klettern und mich da oben zu locken. Ich wurde aber von zwei BFE-Jungs heruntergezerrt, als ich relativ weit oben war. Sie haben wohl irgendwie Räuberleiter gemacht, auf jeden Fall hing dann einer an mir und ich dacht’ mir nur, warum geht’s nicht weiter?

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Innenansicht, Mahnwache | Foto: Marie Schneider

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Ich wurde an diesem Baum herun-tergezerrt und war anschließend leicht Blut überströmt. Sie haben mich angebrüllt, was die Scheiße soll und ich habe geantwortet: „Verzweiflungstat.“Das hatte natürlich auch wieder einen ID-Check zur Folge und mein Rucksack wurde ausgeleert und durchsucht. Dann hat er gefragt, was ich mit den drei Nägeln vor habe und ich hab’ gesagt, dass ich irgendwas in der Küche reparieren muss. Ich wurde dann auch wieder rausgeschickt [lacht], dieses Mal in die andere Richtung [lacht]. Irgend-wann kam ich von einer meiner Wald-erkundungen zurück, bei denen ich geguckt habe, ob man irgendwo helfen kann, was bauen, was verbessern könnte, an irgendwelchen Leitern - denn ein Handwerker will immer Arbeit - und mein Zelt war zerschnitten. Die Leute von der Wiese haben gesagt, dass die Cops da gewesen wären.

An meinem Platz habe ich mich danach natürlich nicht mehr wohlgefühlt. Bei einem Obdach-losen ist das Zelt wie die Wohnung. Alles war durchwühlt, aber sie haben wohl nichts gefunden und dann hab’ ich gedacht, ich ziehe jetzt weg und bin dann nach Lorien gezogen, das liegt am äußersten Ende im Süd-Wes-ten. Dort wurde ich herzlich aufgenom-men und hab’ gleich eine Leiter repariert. Es waren alle froh, dass ich einen Profi-Akkuschrauber habe, dass ich Tischler bin und auch als Zimmermann mal gearbeitet habe - ab dann wurde ich dann ganz schnell ein Teil dieser Gesellschaft. 


Dass ich ein Fernglas hatte, war super. Nachts war ich relativ viel unterwegs und habe beobachtet, morgens habe ich einen guten Kaffee gemacht, oder es eher versucht. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich gelernt hab’ Cowboy-kaffee zu machen, das ist praktisch Kaffee kochen, aber ohne Filter. Mach ich hier jetzt auch immer und alle sagen, du machst den besten Kaffee [lacht], einen, wo auch ein bisschen Kaffee drin ist. Und der haut in die Fresse sagen sie [lacht].

Ich war derjenige, der nachts unterwegs war, um zu gucken, was los ist und deswegen hab’ ich mich auch Shadow genannt. Mit der Zeit habe ich mich dann immer mehr der Situation angepasst und gemerkt, dass die Gewalt immer heftiger wird und auch die Polizei gegenüber den Aktivisten, wir wurden immer mehr umzingelt in Lorien. Ich habe beim Barrikadenbau geholfen. Die Einsätze wurden immer heftiger, die Art der Einsatzkräfte, der technologische Aufwand, der betrieben wurde, um uns herum, in Lorien, wo die meisten Kletterer waren. 

Irgendwann war's dann halt so, dass sie dann mit nächtlichen Flutlichtern ankamen. Es waren keine Flutlichter wie im Stadtion, die waren so stark, dass man nicht laufen konnte, ohne gegen einen Baum zu laufen, weil man so geblendet wurde. Dazu kamen nächtliche Hubschrauberüberflüge mit Wärmebildka-mera, Awacs flog manchmal rüber und hat alles gestört, der Handyempfang war komplett gestört.

Es war eine Warzone, eine echte Warzone! Wir wurden immer mehr eingekesselt, der Ring um uns zog sich immer mehr zu.

Irgendwann hab’ ich eine Barrikade bauen lassen und hatte die Idee, dass es am effektivsten wäre, wenn während der Stürmung ein Mensch in der Barrikade liegen würde. Der Mensch der sich dazu freiwillig bereit erklärt hatte, hat nach zwei Minuten Panikattacken bekommen, kann ich gut verstehen. Darin war es wie in einem Tunnel, die großen Eichen-stämme waren zehn Zentimeter vom Gesicht entfernt. Das war schon nicht so einfach zu ertragen. Schließlich habe ich mich dazu bereit erklärt in die Barrikade zu kriechen. 

Hattest du keine Angst?

Ich kann mit Ängsten gut umgehen (bilde ich mir ein), ich bin 20 Jahre lang Motorcross gefahren, davon mehrere Jahre auch wettbewerbsmäßig und da muss man die Angst irgendwie über-winden und damit umgehen lernen.

Enge macht mir auch nicht viel und darum hab’ ich das dann gemacht und schließlich war ich dann der Mensch da drin. 

"Es war eine Warzone, eine echte Warzone! Wir wurden immer mehr eingekesselt, der Ring um uns zog sich immer mehr zu."
-shadow

Vorratsecke, Mahnwache | Foto: Leslie Barabasch

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Wie lange warst du in der Barri-kade gefangen?

Je nachdem,  wenn ein Angriff war, bin ich da rein gekrabbelt, hab’ dann mein zerstörtes Zelt dahinter aufgebaut und hab’ einen Zettel hin geschrieben: Dieses Zelt wurde von den Cops Kohlezisten zerstört. Mein einziges Zuhause usw. … so als Statement.

Die Plane über mir hat nicht richtig geholfen, so habe ich oft im Nassen gelegen. Man hatte nur zwei Meter in diese hundeartige Höhlenöffnung. So war ich immer bereit und habe den Leuten gesagt, dass ich dann da drin bin wenn ein Angriff ist, sagt es den Cops und dass sie erst mal eine Spezialeinheit brauchen, um mich da raus zu sägen. Ja und dann kam irgendwann am 27.09.2018 der große Angriff mit knapp vier Hundertschaften, das sind jeweils 130 Einsatzkräfte, also 500 Leute waren das, zusammen mit Spezial-einheiten aus Bayern, Antiterror-Eliteein-heiten.

Ein, zwei Tage zuvor waren ungefähr 130 Jugendliche gekommen, um Lager-feuer Romantik zu erleben. Ich habe denen gesagt, dass es toll ist, dass sie uns unterstützen, sie aber am falschen Ort sind und dass sie hier was erleben werden, was nicht gut für sie ist. Ich konnte nicht abschätzen, wie weit die Gewalt gegen diese Jugendlichen gehen würde. Und es hat…[weint]. 


 

Man kann sich das als nicht-beteiligte Person, die das nicht erlebt hat, überhaupt nicht vorstel-len, was da alles vor sich gegan-gen ist.

Wenn ein Polizist einer Eliteeinheit, einer Antiterror-Eliteeinheit, einem Menschen ins Gesicht guckt, während er dabei Schmerzgriffe anwendet oder die Nase zertrümmert, das ist unvorstellbar! Die killen auf Befehl. Die wurden heiß gemacht, nach meiner Theorie - ist nur eine Theorie. Auf jeden Fall haben diese Einsätze zur maximalen Gewalt geführt. Zu der Zeit war ich in der Barrikade und die Barrikade wurde gestürmt, obwohl sie gewarnt waren, da hab’ ich fast mein Leben verloren. Die Barrikade wurde um 30 cm versetzt, diese großen Eichen-stämme und ich war dazwischen und am Ersticken. Ich war am Hals, ich bin das maximale Risiko eingegangen - ich bin Motorcross gefahren und da geht man maximales Risiko ein. Und ich dachte, wenn ich maximales Risiko eingehe und die wissen davon, werden sie schon den Angriff abblasen und erst mal die Spezialeinheiten holen, aber das ist nicht geschehen. 

Also haben sie mein Leben in Kauf genommen und ich habe dann in Lorien alles verloren, alles verloren. In der Nacht haben sie einen wohl mit Nachtsichtgeräten beobachtet und an einem Morgen war nichts mehr von meinen Klettersachen die ich irgendwie gesammelt und vergraben hatte da, alles ausgebuddelt.

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Eingang, Mahnwache | Foto: Lucas Ulmer

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Man wurde von überall beobachtet. Ich bin dann hier in der Mahnwache gelandet und hab’ erstmal hier ein bisschen mitgeholfen, mich neu eingekleidet und musste auch ein bisschen Abstand gewinnen. Danach gab es dann noch zwei Räumungen, die ich dann miterlebt habe, die vielen Menschen, die voll mit Pfefferspray waren. Ich hab’ dann immer gesagt: Umarm’ mich nicht, fass’ mich nicht an, ich hab’ so viel Pfefferspray abgekriegt. 
Mir ist klar geworden, dass das Stellung-halten hier in der Mahnwache auch eine wichtige Aufgabe ist.  Durch meine Erlebnisse und die ganzen Menschen und verschiedenen Orte im Wald, die ich kennengelernt habe, hab’ ich halt gemerkt, dass man hier als Handwerker auch unverzichtbar ist. Es ist auch wichtig, Materialien und Werkzeuge gut zu organisieren, um es dann in den Wald zu bringen. 

 

Das ist deine Hauptaufgabe?

Ja, ich bin mehr so für das Material und Werkzeug zuständig, das ist so mein Bereich in dem ich mich wohl fühle. Klamotten sind nicht so mein Bereich, Schuhe vielleicht noch, also Sicherheitsschuhe - genau, da auch noch. Mich um Essen zu kümmern ist auch nicht so meins, das machen anderen Menschen und das Seelische macht man sowieso. Seelischen Beistand geben, soweit man es kann.

Innenansicht, Mahnwache | Foto: Lucas Ulmer

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Also haben die Menschen, die sich überwiegend hier aufhalten, ihren jeweiligen Aufgabenbereich?


Ja, schon, aber es überschneidet sich und man springt füreinander ein. Manchmal sind am Wochenende wenige Menschen hier und es wäre gut, wenn wir dann viele sind. Am Wochenende kommen viele Menschen zum Spazierengehen und sie bringen viele Sachen mit (Lebens-mittel, Klamotten, usw.) und das muss alles sortiert werden. Das ist auch eine Aufgabe der Mahnwache, dass man die Menschen informiert, über das, was hier abläuft und was die Polizei macht und so und auch RWE. [Vorbeifahrender LKW hupt] Ja, das ist auch nachts ganz nor-mal, ab halb vier, schlafen ist da ganz schön schwierig. 

Das hier ist jetzt zu meinem Lebensinn geworden und ich bleibe so lange, bis der Wald sicher gerettet ist und dann ziehe ich weiter durch Europa, weiter nach Polen, Kattowitz oder England, dort gibt es auch überall Braunkohleab-bau. Ich hab’ meinen Lebenssinn gefun-den, ich hatte ja keinen mehr und ich habe gemerkt, dass ich hier so gut wie gar kein Geld brauche. Wir leben hier stellenweise im Überfluss, was irgendwo auch wieder beängstigend ist. So ist das System und eigentlich ist es auch irgend-wie nicht so schön, wenn man dann so viel hat. Und oft wird eher das Falsche gespendet, wir haben zum Beispiel keine Socken, keine Unterhosen, keine warmen Schuhe, keine Zwiebeln, kein Knoblauch - aber dafür 150 Brote und was weiß ich, 100 PET-Flaschen.

Da spiegelt sich ein bisschen wie-der, wo die Überflüsse sind.

Genau, wir wünschen uns gebrauchte Sachen und nicht irgendwelches Neuge-kauftes, das ist zu sehr systemun-terstützend und wir bräuchten eher zum Beispiel gebrauchte Fahrräder, gebrauch-tes Werkzeug, gebraucht, gebraucht, gebraucht oder wieder Repariertes oder wir reparieren es.

Man muss in Kreisläufen denken, die Wirtschaft funktioniert nicht in Kreisläufen, es muss immer neu produziert und neu verkauft werden. Das ewige Wachstum hat die Welt zu dem gemacht, was sie jetzt ist und sie ist kurz vor dem Ruin. Wenn der Tipping-Point [Umkipp-Punkt] überschritten ist, und ich bin leider Pessimist bzw. Realist, dann gibt es kein Zurück mehr, es gibt kein Zurück mehr!

Ich werde es nicht mehr erleben aber die übernächste Generation  wird sich an den Kopf fassen und sich fragen, was wir angestellt haben.

Die Erde wird dann ein Ort sein, auf dem das Leben sehr schwierig sein wird, vor allem für siebeneinhalb bis acht Milliar-den Menschen. Ich gehe hier voll drin auf, mit der Energie eines ehemaligen Handwerkers und noch immer Hand-werker, nur halt nicht mehr professionell.
Mit der Energie eines Menschen, der ein bisschen extrem ist, ein bisschen arg extrem, der hier aber auch zum Extre-mismus gebracht wurde oder zu mindest an die Grenzen von dem, was er an Gewalt ertragen kann. 

 

Also quasi als eine Reaktion auf das, was dir entgegen gebracht wurde?

Es war eine Entwicklung, meine Reak-tionen haben sich so dermaßen gestei-gert, dass ich sogar bereit war, mein Leben zu geben. Ich habe gedacht, dass wenn ich das auf’s Spiel setze, wird sich vielleicht etwas ändern. Es ist das einzige, was wir dem entgegensetzen können, wir haben keine Chance, mit kaputten Spaten gegen diesen techno-logischen Overkill, gegen Bagger, gegen hoch aufgerüstete Fahrzeuge, spezial ausgerüstete Polizisten und Anti-Terror-Spezialeinheiten, anzukommen.

Wir werden mittlerweile als Klans bezeichnet, man wird stigmatisiert und mit irgendwelchen Gruppen gleichge-setzt, die wirklich kriminell sind. Mit Gruppen, die gefährlich und zu Gewalt-taten bereit sind.

Dieses Pauschalisieren zeigt die Verflech-tung zwischen Industrie und der Politik und dass das einzige Gewaltmonopol bei dem Staat und der Polizei liegt, das zeigt auch das neue Polizeigesetz -  das ist jetzt mein letztes Statement. 

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